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Ein kämpferischer Geist!

11. Jul 2017

Eindrücke von der Anti-G20-Demo in Hamburg

Von Jonas Christopher Höpken, pax christi-Kommission Globalisierung und soziale Gerechtigkeit

Geht es nach den Mainstream-Medien, bleiben von den Protesten gegen G20 fast nur die Bilder der abendlichen Gewalt im Hamburger Schanzenviertel. Und so fängt sogar dieser Artikel damit an. Zweifellos waren die Ausschreitungen, die vor allem in der Straße "Schulterblatt" stattgefunden haben, aus Sicht eines  jedem Menschen, dem an einer kritischen Auseinandersetzung ist G20 liegt, völlig destruktiv. So wie allen Moslems heute abverlangt wird, sich von jedem erbärmlichen Terroranschlag zu distanzieren, sieht man sich nun auch als Anti-G20-Demonstrant von Hamburg zu dieser Geste genötigt. "Ja, ich verurteile die Gewalt zutiefst." Obwohl sehr in Zweifel steht, dass die angeblich linksextremistischen  Gewalttäter auch nur im Ansatz etwas mit "links" zu tun hatten. Die Junge Welt schreibt: "Unter den mehreren tausend Menschen, die sich im Viertel auf den Straßen aufhielten, waren linke Aktivisten kaum zu sehen. Statt dessen allerdings Personen, die von Anwohnern als Fußballhooligans  beschrieben wurden. In der Sternstraße wurde der Hitlergruß gezeigt, in der Bartelstraße wurde ein Geschäft mit Antifa-T-Shirts im Schaufenster offenbar gezielt attackiert. Nach 'Linken' klingt das nicht." (André Scheer u.a.: Provozierte  Eskalation. Junge Welt vom 10.7.2017) All dies fand ohnehin nachts statt, als die Busse der Demonstrierenden längst wieder abgereist waren. 

Wie habe ich die Proteste erlebt, als jemand der dem Aufruf von pax christi, Attac, der Partei DIE LINKE und vielen anderen gefolgt war und an der großen Demonstration am Samstag "Grenzenlose Solidarität statt G20!" teilnahm? Um es kurz zu sagen: Die Gewalt habe ich nur im Fernsehen gesehen. Auf der großen Demonstration selbst herrschte ein völlig anderer Geist. Dieser Geist war international, bunt und kreativ, entspannt und gut gelaunt, aber auch politisch sehr entschlossen und kämpferisch. Eine Vielzahl von Menschen und Gruppen kam zusammen: Pflanzen- und Tierschützer, Chinesen und Kurden, bunt geschminkte Clowns und schwarz gekleidete Antifas,  dogmatische Kommunisten und vorher lange auf keiner kapitalismuskritischen Demo gesichtete Grüne. Christen, Muslime, Freidenker. Sie alle stellten sich gegen die mörderischen Auswüchse eines grenzenlosen Kapitalismus und für eine Politik des sozialen Ausgleichs, der ökologischen Vernunft sowie eines gewaltfreien und solidarischen Internationalismus. Es wurde gesungen, getanzt, aber auch skandiert und agitiert. Eine emanzipatorische Massendemonstration, die einen wohltuenden Kontrast zu den Aufmärschen bot, die in den letzten zwei Jahren in Dresden und anderswo Schlagzeilen machten. 

Drei persönliche Highlights: Ein Demonstrant verkörperte würdevoll den Papst mit seiner Anklage "Diese Wirtschaft tötet." Christian Ströbele radelte mit dem Rad klingelnd von einem Ende der Demo zum anderen. Vermummte Polizisten trotzten dem Vermummungsverbot, ließen sich aber brav fotografieren.  

Da sowohl bei der Auftakt- als auch bei der Abschlusskundgebung die Akustik nicht für alle 76.000 Teilnehmende ideal war, bekam ich von den Abschlussreden nicht viel mit und dachte: Kein Problem, Phoenix überträgt 10 Stunden live, das zeichne ich ja alles auf und gucke mir die Kundgebungen hinterher noch mal zu Hause an. Aber die inhaltlichen Reden der großen Demo waren dem Live-Berichterstatter des Öffentlich-Rechtlichen Fernsehens keine Sekunde wert. Stattdessen die ständige Wiederholung der Bilder der vorherigen Nacht aus dem Schanzenviertel mit dem immer selben  geplünderten Drogeriemarkt. Und die immer gleichen langweiligen Interviews mit außenstehenden "Experten". Und auch in den zentralen Nachrichtensendungen von ARD und ZDF kamen die inhaltlichen Reden der Abschlusskundgebung schlicht nicht vor. 

Die Demonstration an sich aber machte Mut: Es gibt in Europa ein breites emanzipatorisches und kapitalismuskritisches Protestpotential gegen die herrschende Politik und für soziale Alternativen. Gegen eine Wirtschaft, die tötet. Ja, eine andere Welt bleibt möglich. Schade dass der Öffentlichkeit von dieser Aufbruchstimmung fast alles vorenthalten wurde.